Kreismitgliederversammlung unter dem inhaltlichen Schwerpunkt "Digitalisierung – neue schöne Arbeitswelt"

Begrüßung durch Vorstand Prof. Dr. Bernhard Zimmermann

Andreas Flügel, stellvertrender Bürgermeister und Referatsleiter für Wirtschaftsförderung im Blankenburger Rathaus

Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen

Olaf Meister, Mitglied der Landtagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen

Prof. Dr. Kolb-Janssen, SPD, Ministerin a.D. für Justiz und Gleichstellung
Nach Eröffnung der Versammlung durch die Kreisvorsitzenden machte Andreas Flügel, stellv. Bürgermeister und Referatsleiter für Wirtschaftsförderung im Blankenburger Rathaus, einige Anmerkungen zum Tagungsort. Er verwies auf die lange Tradition des Blankenburger Rates und seine erste Erwähnung im 14. Jhdt. Heute ist die kommunale Selbstverwaltung zwar theoretisch garantiert, muss aber dennoch immer wieder gegen zentralistische Tendenzen wie etwa ausufernde regionale Entwicklungspläne verteidigt werden.
Die Stadt Blankenburg verfolgt derzeit ein integriertes Stadt- und Regionalkonzept. Touristik, die Entwicklung des Naturraums und der Schutzgebiete spielen da eine zentrale Rolle. Er hob die hohe Vielfalt an Schutzgebieten hervor und warb dafür, die Naturschätze als Standortfaktoren zu betrachten. Gerade die durch die Digitalisierung ermöglichte Dezentralisierung der Arbeitswelt könnte zu einer verstärkten Wiederbesiedlung des ländlichen und naturnahen Raums führen.
Besonders erwähnte er die Naturerbefläche Stiftungswald. Er verwies auf den grünen Wahlkampfslogan „Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts“ und merkte an, dass es immer noch schwer fällt, Umweltthemen zu vermitteln: „Das Publikum beklatscht das Feuerwerk und nicht den Sonnenaufgang“. Umweltthemen müssen mit Emotionen gefüllt werden, wie sich z.B. in Blankenburg an der Begeisterung der Bevölkerung für das Anlegen der Arche am Rand der historischen Gärten und des Stiftungswaldes gezeigt hat. Herr Flügel hieß uns auch weiterhin im Blankenburger Rathaus willkommen.
Sabine Wetzel bekannte, dass sie von Wernigerode aus manchmal neidisch nach Blankenburg schaut, ob vieler innovativer Initiativen, etwa im Alten E-Werk und zum E-Management. Gerade kleinere Städte dürften ihre Chancen, die in innovativen Entwicklungen liegen, nicht verschlafen.
Die Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz verwies auf die Gründung der Landespartei von Bündnis 90 / Die Grünen 1993 in Wernigerode, die sich in diesem Jahr zum 25. Mal jährt. Die Gründung in Wernigerode ist vielleicht kein Zufall, da im Harz Schönheit und Verletzlichkeit der Natur besonders wahrnehmbar sind. Neue Aufgaben für die Partei stellt die Kenia-Koalition, die durchaus in der Regierung Fortschritte erzielt hat. Als weiteres vor uns liegendes Projekt erwähnte sie die weitere Entwicklung des Grünen Bandes.
Die Vorbereitung der Kommunalwahlen 2019 wird 2018 in den Blick rücken. Wahlprogramme müssen neu formuliert und KandidatInnen nominiert werden. Hierzu soll ein öffentlicher Grüner Tag am 26.5.2018 in Magdeburg mit Workshops, einer Messe und der Jubiläumsfeier den Auftakt bilden.
Als besondere Herausforderung erwähnte sie das gesellschaftspolitische Rollback der sogenannten „bürgerlich konservativen Revolution“, das sich im Landtag Sachsen-Anhalts auch im rechten Aufbegehren der AfD manifestiert. Hierzu äußerte sich auch Olaf Meister in seinem Grußwort aus der Landtagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen. Ziel der politischen Aktivitäten der AfD-Fraktion sind ausschließlich politische Knalleffekte, nicht die Mitwirkung an einer seriösen Gesetzgebung. Im Umgang mit der AfD empfahl er vor allem, sie inhaltlich zu stellen.
Den Schwerpunkt der Versammlung bildeten Impulsreferat und Diskussion zum Thema „Digitalisierung – neue schöne Arbeitswelt“. In der Anmoderation erwähnte Prof. Dr. Bernhard Zimmermann, der die Moderation des Themas nicht nur als Kreisvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen, sondern auch als Computerwissenschaftler und Dekan des Fachbereichs Automatisierung und Informatik der Hochschule Harz übernommen hatte, die gravierenden Folgen für die Arbeitswelt und das soziale Zusammenleben der sogenannten Industriellen Revolution 4.0, die politisches Handeln jetzt erfordere.
Die Referentin Frau Prof. Dr. Kolb-Janssen ist promovierte Rechtswissenschaftlerin und hatte von 2004-2006 eine Professur für Verwaltungsrecht und das Dekanat für Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Harz inne. Sie war von 2006 bis 2016 Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt und vertritt jetzt für die SPD im Landtag ihre politischen Schwerpunkte Kultur, Gleichstellung und Bildung.
Frau Kolb-Janssen leitet mit einer Forsa Umfrage ein, in der sich 59% der Befragten weniger Stress, 58% mehr Zeit für Familie und Freunde, 53% mehr Zeit für Sport, aber auch 18%, vor allem jüngere Menschen, mehr Offline-Zeit (ohne Handy, Computer und Internet) wünschen.
Dynamik und Brisanz der Digitalisierung sind bisher nicht umfassend begriffen. Eine konkrete Folge könnte die Gefahr einer technokratischen Diktatur der digitalen Supermächte sein. Ist also das freie Internet gescheitert?
Es geht ihr aber nicht um ein Zurückrollen der Digitalisierung, sondern um aktives Gestalten der Chancen. Vor allem muss das Recht in der digitalen Welt umgesetzt werden. Sie interessieren Auswirkungen auf die Arbeitswelt und das Verhältnis der Geschlechter. So gibt es auf der einen Seite Verheißungen von Spontanität, Spaß, Kreativität in der Arbeitswelt, vom Ersatz fehlender Fachkräfte durch Roboter. Auf der anderen Seite sind Sorgen vor allem unter betroffenen Arbeitnehmern verbreitet. Letzteres musste sie selbst z.B. bei der Einführung der elektronischen Akte in ihrer E-Justice-Initiative erfahren.
Es besteht immer noch die Gefahr, dass verschiedene Regionen mangels Verfügbarkeit schnellen Internets oder Bevölkerungsgruppen mangels finanzieller Mittel zur Anschaffung der Geräte und Erwerb der nötigen Kompetenzen ausgeschlossen sind.
Veränderungen in der Arbeitswelt führen zum Verschmelzen von Virtualität und Realität, zur Personalisierung von Werbung, zu neuen Analysen mit ausgefeilten Algorithmen an den von den Nutzern bereitgestellten Daten. Gibt es bald nur noch virtuelle Büros oder digitale Hubs, von denen aus gearbeitet wird?
Betriebliche Transformationen durch die Digitalisierung wurden von der Bertelsmann Stiftung untersucht, mit dem Ergebnis, dass der Mittelstand nicht gut vorbereitet ist, obwohl die Unternehmen die Digitalisierung mit Chancen zu höherer Flexibilität und Individualität meist positiv sehen. Sie fordern eine entsprechende „Modernisierung“ des Arbeitsrechtes (z.B. die Abschaffung vorgeschriebener Ruhezeiten) und verstärkt freiberufliche und selbständige Mitarbeiter.
Arbeitnehmer sehen hingegen Tendenzen zu zusätzlicher Belastung und Selbstausbeutung. Im DGB-Index für Arbeitsqualität hielten 19% ihre Arbeitsbedingungen für schlecht, nur 13% für gut. 41% sind nach der Arbeit zu erschöpft, um sich um private Angelegenheiten kümmern zu können.
Die Frage, ob Flexibilisierung auch im Interesse von Arbeitnehmern sein kann, untersuchte die Hans-Böckler-Stiftung an 880.000 IG-Metall Beschäftigten. 20% arbeiten an einem selbstbestimmten Ort. Diese sind meist in großen Unternehmen beschäftigt, arbeiten vorwiegend in der Elektroindustrie und sind Akademiker oder Führungskräfte. 80% von ihnen befürworten das mobile Arbeiten, 60% bekommen Arbeits- und Privatleben besser vereinbart. Doch auch hier werden höhere Selbstausbeutung und auch eine geringere Wahrnehmung der Arbeit als Probleme gesehen. 45% der Home-Office Beschäftigten können abends nicht abschalten.
Frau Kolb-Janssen folgerte, dass es klare Regeln für die Flexibilität und zur Erreichbarkeit braucht. Realistisch angepasste Vorgaben für das Arbeitspensum, für die Messung der Arbeitsergebnisse, für Personal- und Vertretungsregelungen müssen neu erarbeitet werden. Zentral ist die Fortbildung für Beschäftigte und Vorgesetzte, z.B. im Datenschutz. Sie empfahl ein persönliches Aktivitätskonto, in dem Weiterbildungsrechte auch über den aktuellen Arbeitsplatz hinaus gesammelt werden können. Sie befürwortete aber auch einen Rechtsanspruch auf Home Office. Unternehmer müssen sich als Arbeitgeber attraktiver machen, da die Arbeitsbedingungen zunehmend eine Rolle für die Auswahl des Arbeitsgebers spielen. Mitarbeiter müssen frühzeitig in Entwicklungen eingebunden werden.
Als besonders problematische Entwicklung erwähnte sie noch das sog. „crowd-working“, in dem kleine Aufträge über virtuelle Plattformen vergeben werden, für die sich Interessenten bewerben können. Diese Wirtschaftsweise verzeichnet gegenwärtig 2 Mrd. $ Umsätze, eine Entwicklung auf mindestens 20 Mrd. $ ist prognostiziert. Hier werden alle wirtschaftlichen Risiken auf den Arbeitnehmer verlagert. Vor allem Frauen sind genötigt, solche Arbeitsaufträge anzunehmen. Es entstehen digitale Arbeitsnomaden als ein neues Prekariat. Als Antwort sieht sie weitere Regelungen gegen Scheinselbständigkeit, die Einbeziehung von Selbständigen in die Sozialversicherung und ein Heimarbeitergesetz.
Das Fazit „Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun. Wichtig ist die Auseinandersetzung mit den Konsequenzen. Die Digitalisierung muss in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden.“ bildete den Abschluss dieses sehr anregenden Vortrags.
In der folgenden Diskussion wurden viele Aspekte angesprochen, wie autonomes Fahren von Lastwagen und Zügen, die Digitalisierung als Hilfe in der Pflege, wie die digitale Patientenakte, die aber auch zur Hürde für manches Pflegepersonal werden kann, sowie digital bespielte Dorfschulen.
Dass eine wichtige Diskussion um die von der Digitalisierung bewirkte permanente Verfügbarkeit schon angestoßen wurde, wird besonders herausgestellt. Die Bedürfnisse der Menschen müssen in den Mittelpunkt der Überlegungen gestellt werden. So wird das Betreuungsbedürfnis von Fahrgästen im Zug durch das autonome Fahren ebenso wenig befriedigt wie soziale Bedürfnisse im Home-Office.
Die Digitalisierung hat zu ungeheurer Monopolisierung und Konzernmacht geführt. Hier entstehen Revolutionen in der Wirtschaft und die Politik läuft nur mit. Dies wird schließlich zur Projektion des Hasses, der sich in der Neuen Rechten entlädt. Andererseits sind Soziale Medien gerade auch zur Arena der populistischen Bewegungen geworden. Politik muss den professoralen Sachverstand auf die Beherrschung dieser Entwicklungen und auf die Stärkung der demokratischen Strukturen ausrichten. Politik muss gestalten, nicht nur auf Vorgaben der Industrie reagieren.
Es stellen sich auch Fragen der Ethik, nach der Position des Menschen in der digitalen Gesellschaft, ob zentrale Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben plötzlich obsolet werden, und ob Kommunikation überhaupt noch als Miteinander erlebt werden kann. Vor allem die Schule ist mehr als die reine von digitalen Medien zu leistende Wissensvermittlung und für kleine Kinder ist die Lehrerin auch eine emotionale Bezugsperson.
Es wurden bisher zahlreiche Arbeitsplatzumwälzungen bewältigt, Arbeitslosigkeit ist vor allem ein Verteilungsproblem. Freiwerdende Kapazitäten können anderweitig genutzt werden. Der Mensch muss im Mittelpunkt der Arbeitswelt stehen. Arbeit ist genügend vorhanden, vor allem im sozialen Bereich, sie muss anders verteilt und finanziert werden. Das Ehrenamt muss finanzielle Anerkennung finden, z.B. durch ein Grundeinkommen.
Problematisch sind aber vor allem der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der sozialen Medien und populistischer Bewegungen sowie die zunächst unerwarteten starken Monopolisierungstendenzen im Internet. Hier hat die auf regionaler Ebene agierende Politik große Schwierigkeiten, diese globalen Entwicklungen zu steuern.
Frau Kolb-Janssen fasste als Schlussworte wichtige Ergebnisse der Diskussion zusammen: Die zentrale Frage ist: Wo bleibt der Mensch und seine Bedürfnisse? Angesprochen wurden vielfältige Aspekte, neben der Digitalisierung vor allem die Globalisierung und der Kapitalismus. Wie wird Arbeit finanziert, ist eine entscheidende Frage. Hier werden Dienstleistungen immer noch generell schlechter bezahlt als die Arbeit mit Maschinen
Zum Thema möchten wir auch einen Beitrag von Wolfgang Dannheim (Sprecher des Bürgerbündnisses Wernigerode) zur Diskussion stellen.
Es folgten Rechenschaftsberichte von Vorstand und Kassenwart, Informationen aus den Regionalgruppen, dem Kreistag und den Stadtparlamenten, sowie Wahlen der Delegierten für die Parteigremien